Arbeit in der Hängematte – Bietigheimer Zeitung 27.11.23

Arbeit in der Hängematte – Bietigheimer Zeitung 27.11.23

Die Bönnigheimerin Silke Vogel ist digitale Nomadin Arbeit in der Hängematte

Von Michael Soltys

Den Winter in Fernost verbringen, sein Geld am Strand verdienen – wer träumt nicht davon? Für die Bönnigheimerin Silke Vogel ist dieser Traum seit Jahren Realität.

Ende November sitzt Silke Vogel wieder im Flugzeug. Ziel Bangkok. Das Datum des Rückfluges ist unbekannt, ebenso die weiteren Länder, die sie von Thailand aus durchstreifen möchte. Die 50-jährige Bönnigheimerin ist in dieser Hinsicht flexibel. Schließlich handelt es sich nicht um eine Urlaubsreise. Silke Vogel fliegt zur Arbeit. Von Fernost aus wird die gelernte Grafik-Designerin und Internet-Spezialistin ihre Kunden in Deutschland bedienen.

Silke Vogel bezeichnet sich selbst als „digitale Nomadin“. Länger als zwei Wochen hält sie es nicht an einem Platz aus, seitdem sie sich 2014 entschlossen hat, ihrem Fernweh nachzugeben und Leben und Arbeit auf Reisen unter einen Hut zu bringen. „Ich kann beides nicht trennen“, sagt sie.

Roadtrip durch Südosteuropa

In diesem Sommer war sie auf einem dreimonatigen Roadtrip durch Südosteuropa, im Winter geht es, wie schon seit mehreren Jahren, zum wiederholten Mal nach Asien. Vielleicht wieder auf die ein oder andere Insel im Golf von Thailand oder in der Andaman-See im Indischen Ozean, vielleicht wieder nach Singapur, wo sie 2023 Silvester feierte, vielleicht wieder nach Kambodscha, vielleicht auch wieder nach Indien, an den Strand von Goa. Das war grob gesagt die Strecke, die sie im vergangenen Winter zurückgelegt hat. „Ich will Sachen erkunden, die ich bisher noch nicht kenne.“

Ihre Vorliebe für die Arbeit in Asien hat einen simplen Grund. Dort ist sie der deutschen Zeit um mehrere Stunden voraus. Wenn die Langschläferin um 14 Uhr Ortszeit mit der Arbeit beginnt, ist es in Deutschland noch früh am Tag. „Das freut meine Kunden, wenn ich dann schon erreichbar bin“, sagt sie. Wenn es nötig ist, arbeitet sie bis Mitternacht durch, vier bis acht Stunden am Tag sind es täglich.

Die Disziplin dafür aufzubringen fällt ihr leicht, trotz der vielen Eindrücke in fremden Ländern. „Ich habe eine Leidenschaft für meine Arbeit.“ Selbst wenn der Strand nur ein paar Meter entfernt ist, er lockt sie nur selten, das ist für sie Zeitverschwendung. Denn wenn Kunden über ihr Satellitentelefon anrufen oder Mails mit Anfragen schicken, dann fehlt die Zeit für das Meer.

Die Kunden wissen genau, dass ihre Web-Designerin mal wieder in der Weltgeschichte unterwegs ist. Ein Problem damit haben die kleinen und mittelständischen Unternehmen damit nicht. „Ich habe von Beginn an mit offenen Karten gespielt“, sagt Vogel. Ihre Daten seien sichergestellt, wichtige Informationen sind verschlüsselt, andere sind über eine Cloud geschützt. „Selbst wenn mir unterwegs mal ein Laptop geklaut werden sollte, kann ich sie schnell wiederherstellen.“

Das Problem sind eher unsichere oder wacklige Internet-Verbindungen, „das ist meine größte Sorge“. In Thailand sei das Netz sehr stabil. Aber in Indien musste Vogel schon mal mit dem Roller durch die Gegend fahren, um einen Platz zu finden, an dem sie sich ins Internet einloggen konnte. „Einmal am Tag fällt hier das Netz aus.“

Der ein oder andere US-Staat, Kalifornien vielleicht, auch die südamerikanischen Staaten – das sind Länder und Regionen, die Vogel gerne ebenfalls bereisen möchte. Das Problem: Diese Länder hinken Deutschland in der Zeit hinterher.

Problem: Zeitdifferenz

Wenn Kunden in Deutschland morgens eine Anfrage schicken und eine zeitnahe Antwort erwarten, ist es jenseits des Atlantiks noch mitten in der Nacht. „Das ist sehr stressig“, gibt Vogel ihre Erfahrungen einer Reise in die Karibik wieder. Selbst eine Zeitdifferenz von einer Stunde, beispielsweise auf den Kanaren, erschwere es, den Tag zu organisieren.

Etwa Mitte April, so denkt sie, wird Silke Vogel, die vor einem Jahr von Bönnigheim nach Konstanz umgezogen ist, in Deutschland zurück sein. Lange wird sie nicht bleiben. Um sich den nächsten Roadtrip im Sommer in Europa zu erleichtern, hat sie sich jetzt einen VW-Bus bestellt. Und hat der auch Internet? Kein Problem, sagt sie, „das funktioniert über Mobilfunk“.

Digitale Nomadin Silke Vogel lebt das ortsunabhängige Arbeiten

Digitale Nomadin Silke Vogel lebt das ortsunabhängige Arbeiten

Dana Diezemann hatte mich fürs Hochschulradio Stuttgart (Horads 88,6) interviewt. Es stammt aus der Sendung Talk mit Dana.

Damit ihr aber nicht lange hin- und herspringen müsst, habe ich euch den Text auch hier zur Verfügung gestellt:

„Die digitale Nomadin Silke Vogel erklärte uns das ortsunabhängige Arbeiten, welches sie seit über zwei Jahren erfolgreich und mit viel Lebensfreude praktiziert. 1997 studierte Silke an der Hochschule der Medien und ging nach einer Findungsphase in einen konventionellen Job in einer Werbeagentur. Irgendwie passte das dann aber nicht mehr zu ihrer Lebenseinstellung und sie stieg aus.

Seit 2015 sitzt Silke in verschiedenen Städten wie Goa in Indien oder auf der Insel Martinique mit dem Laptop am Strand und arbeitet übers Internet. Erstellt Konzepte, Designs und Webseiten. Hält Kontakt zu ihren Kunden per Skype und Mail. Den Lebensunterhalt so zu verdienen klingt und sieht traumhaft aus, ist es auf den ersten Blick auch.

Aber diese Arbeitsform ist nicht für jeden geeignet. Es gibt auch Schattenseiten. Wir reden über Begriffe wie Zeitverschiebung und Selbstdisziplin. Ist ein direkter persönlicher Kontakt zum Kunden wirklich wichtig? Was sind die Herausforderungen im exotischen Arbeitsalltag? Und wo führt der weitere Weg Silke hin? Wird Sonne, Meer und Sand nicht irgendwann langweilig? Kann ihre Firma so stabil wachsen?“

Arbeit am liebsten mit Blick aufs Meer

Arbeit am liebsten mit Blick aufs Meer

Hier könnt ihr das Interview von Michael Müller lesen. Er hatte mich für die Ludwigsburger Kreiszeitung interviewt.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist Silke Vogel bereits in der Karibik. Die Grafikdesignerin arbeitet, wo andere Urlaub machen – im Moment an einem Strand auf der Insel Guadeloupe. Die Bönnigheimerin reist um die Welt und kümmert sich in der Ferne um die Aufträge ihrer Kunden. Ihren ganz persönlichen Traum lebt sie erst seit einigen Jahren. Im Interview spricht sie über ihren Weg dorthin.

Silke Vogel ist das, was man heute eine digitale Nomadin nennt. Die meiste Zeit des Jahres reist die Grafikdesignerin durch Länder wie Spanien, Frankreich, Indien oder Ägypten und kümmert sich dort um die Aufträge ihrer deutschen Kunden. An einem trüben Tag treffen wir die 44-Jährige in ihrer Wohnung in Bönnigheim. Eine Woche lang war sie auf Stippvisite in Deutschland.

Frau Vogel, wo kommen Sie gerade her?
Aus Goa in Indien. Da war ich zweieinhalb Monate. Ich hatte mir eine kleine Holzhütte am Strand eingerichtet. Mit Blick aufs Wasser, das ist mir immer wichtig. Dann verzichtet man auf Luxus wie einen Kühlschrank. Das Essen ist auch super, Preisniveau und Qualität sind nicht zu toppen. Für uns Europäer ist es paradiesisch. Und irgendwie scheint die Zeit dort stehengeblieben.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie wieder deutschen Boden unter den Füßen hatten?
Ich dachte: Ist das sauber hier. Aber kalt, einfach zu kalt. Wir hatten durchgehend 38 Grad.

Was fehlt Ihnen, wenn Sie länger weg sind?
Ehrlich gesagt, nichts! Ab und zu Freunde und Familie. Aber sonst nichts.

Gibt es etwas, auf das Sie sich immer freuen, wenn Sie zurückkommen?
Ich wollte ’ne Brezel essen. Auch auf das schnelle Internet habe ich mich gefreut, das ist schon ein anderes Arbeiten.

Was bedeutet eigentlich Heimat für Sie?
Das ist da, wo ich mich wohlfühle. Indien ist so was wie Heimat geworden, ich war zum zweiten Mal dort. Als ich dieses Jahr zurückkam, dachte ich: Wow, da bin ich zu Hause – so eine Ruhe! In Deutschland habe ich immer schneller das Gefühl, dass ich wieder weg muss. Spätestens nach zwei Wochen spüre ich ein inneres Kribbeln. Mir wird es schnell langweilig. Um dem entgegenzuwirken, muss ich reisen. Sobald ich am Meer bin, ist alles wieder in Ordnung.

Heute ist wieder so ein grauer, trüber Tag. Ist es das, weshalb Sie immer wieder weggehen?
Ja, es ist das Wetter. Das Klima und die Landschaft. Wenn wir hier am Meer leben würden – Palmen, Sandstrand und über 30 Grad – würde ich sicher seltener weggehen.

An welchen Plätzen arbeiten Sie am liebsten?
Mit Blick aufs Meer, der Lärmpegel ist mir meist egal – es sei denn, ich muss telefonieren. Internetcafés und Coworking-Spaces sind zum Austauschen und Netzwerken mit anderen sehr animierend.

Was brauchen Sie zum Arbeiten?
Smartphone mit örtlicher Sim-Karte, Laptop und eventuell einen mobilen WLAN-Router. Ohne Mobilfunknetz geht aber nichts. Da kommen einige Länder leider nicht infrage, in die ich gerne reisen würde. Eine meiner ersten Routinen ist der Gang in einen Mobilfunkladen. In Goa ist allerdings der Servicemitarbeiter vor meinen Augen eingeschlafen. Das ist Indien!

Woran arbeiten Sie in der Regel?
Im Moment viel Webdesign und Onlinemarketing. Ich komme allerdings aus dem Printbereich: Designs von Broschüren, Flyern, Logos und Verpackungen.

Was reizt Sie am Leben als digitale Nomadin?
Das Reisen, das Frei-Sein, die Chance, überall arbeiten zu können. Die Kombination ist perfekt: Ich liebe meinen Job – und das Reisen.

Welche Eigenschaften sollte man haben?
Abenteuerlust und Neugier. Man darf nicht zu ängstlich sein. Und ich bin ungebunden. Mit Familie wäre das sicherlich was anderes.

Wie gehen Sie organisatorisch vor, wenn Sie jetzt in die Karibik fliegen?
Ich buche nur den Flug, eine Bleibe für die ersten Tage und erkundige mich vor Ort nach reizvollen Zielen. Ich würde gerne mit dem Segelschiff Inselhopping machen.

Das klingt mehr nach Urlaub als nach Arbeit. Wie verträgt sich das mit Abgabeterminen?
Ich mache es von den Jobs abhängig. Wenn mehrere Aufträge reinkommen, miete ich mir natürlich eine Unterkunft und bleibe an einem Ort. Das lasse ich auf mich zukommen. Generell nehme ich mir die Zeit, was anzuschauen oder baden zu gehen. Deshalb plane ich meistens nur ein, zwei Tage im Voraus. Aber manche Reiseformen kommen nicht infrage. Den Jakobsweg zu gehen und ständig aufs Handy zu schauen – das wäre absurd.

Machen Sie manchmal erst abends den Rechner an, wenn Sie von Ausflügen zurückkommen?
Teilweise ja. In Indien hat man aber ein Problem mit Moskitos. Ich habe mal nachts gearbeitet, war danach völlig verstochen. Ich steh lieber früher auf, wenn die Sonne aufgeht.

Wie reagiert Ihr Umfeld auf die Lebensweise?
Die meisten sagen: Toll, du machst das völlig richtig. Es gibt einige, die das auch gerne tun würden, aber nicht können. Manchmal aus vorgeschobenen Gründen. Bis vor vier Jahren war ich ein richtiger Workaholic, arbeitete bis 2013 freiberuflich in einer Werbeagentur und war da zuletzt sehr eingebunden. Irgendwann habe ich mir gesagt: Wozu? Wieso tue ich mir das an? Je mehr Geld man verdient, desto mehr gibt man aus. Mein Freund starb 2009 und auch danach sind noch einige nahestehende Leute gestorben. Da dachte ich: Das Leben ist zu kurz, um nur zu arbeiten.

Was war so schlimm am klassischen Bürojob?
Die starren Arbeitszeiten, acht Stunden auf dem Stuhl zu sitzen und nicht mal kurz zum Arzt, Friseur oder ins Café zu können. Ich habe früher andere immer bewundert, wenn sie von zu Hause arbeiteten.

Ist die Zukunft der Arbeit ortsunabhängig?
Ja, und vor allem auch in der zeitlichen Flexibilität. Die ist enorm wichtig. Wenn jemand lieber abends arbeitet – warum nicht. Bei vielen Freien spürt man die Freude am Arbeiten.

Wie haben Sie sich anfangs vorbereitet?
Man muss es einfach mal machen und testen, dass man sich die Angst nimmt. Ich bin zunächst nach Spanien und Frankreich, weil ich surfen wollte – und habe nebenher gearbeitet. Das lief ganz gut. Ich war oft auf Barcamps und habe mir die Berichte anderer digitaler Nomaden angehört. Die Vernetzung untereinander ist wichtig, nicht nur wegen der Erfahrungen. Manchmal hat man untereinander Jobs zu vergeben. Ich habe ein paar freie Mitarbeiter, die für mich in Spitzenzeiten arbeiten. Und Rückschläge gab es nur technische.

Wie haben Ihre Kunden reagiert?
Ich habe es ihnen zunächst vorsichtig gesagt, da kam auch keine negative Reaktion. Wenn die Jobs pünktlich erledigt werden und die Qualität stimmt, passt es. Aber man züchtet natürlich auch Neider.

Und wie halten Sie unterwegs Kontakt? Skype, E-Mail und Whatsapp. Manche Kunden sind glücklich, wenn ich eine Woche da bin und wir uns persönlich treffen können. Haben Sie Ihren Traum schon realisiert? Noch nicht ganz. Ich kann gut leben, aber es könnte natürlich immer mehr sein. Eine echte Weltreise wäre momentan noch nicht drin, was Kosten und Erreichbarkeit angeht. Aber nun geht es erstmal auf die Antillen, anschließend nach Mallorca, im August auf ein Hausboot in Amsterdam, danach nach Teneriffa, ab Herbst nach Südostasien und anschließend wieder nach Goa. Fürchten Sie sich vor einer längeren Auftragsflaute? Dann kann es doch schnell an die Existenz gehen… Nein. Generell verdiene ich heute besser als früher. Immer wenn ich denke, ich könnte mal in die Akquise gehen, kommt so viel rein, dass ich ausgebucht bin. Ich habe aber Flugangst – ideale Voraussetzung für eine digitale Nomadin (lacht). Sobald ich gelandet bin, ist alles wieder okay.
Den kompletten Artikel von Michael Müller in der Ludwigsburger Kreiszeitung gibt es hier.
Arbeit am liebsten mit Blick aufs Meer 1