Hier könnt ihr das Interview von Michael Müller lesen. Er hatte mich für die Ludwigsburger Kreiszeitung interviewt.
Silke Vogel ist das, was man heute eine digitale Nomadin nennt. Die meiste Zeit des Jahres reist die Grafikdesignerin durch Länder wie Spanien, Frankreich, Indien oder Ägypten und kümmert sich dort um die Aufträge ihrer deutschen Kunden. An einem trüben Tag treffen wir die 44-Jährige in ihrer Wohnung in Bönnigheim. Eine Woche lang war sie auf Stippvisite in Deutschland.
Frau Vogel, wo kommen Sie gerade her?
Aus Goa in Indien. Da war ich zweieinhalb Monate. Ich hatte mir eine kleine Holzhütte am Strand eingerichtet. Mit Blick aufs Wasser, das ist mir immer wichtig. Dann verzichtet man auf Luxus wie einen Kühlschrank. Das Essen ist auch super, Preisniveau und Qualität sind nicht zu toppen. Für uns Europäer ist es paradiesisch. Und irgendwie scheint die Zeit dort stehengeblieben.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie wieder deutschen Boden unter den Füßen hatten?
Ich dachte: Ist das sauber hier. Aber kalt, einfach zu kalt. Wir hatten durchgehend 38 Grad.
Was fehlt Ihnen, wenn Sie länger weg sind?
Ehrlich gesagt, nichts! Ab und zu Freunde und Familie. Aber sonst nichts.
Gibt es etwas, auf das Sie sich immer freuen, wenn Sie zurückkommen?
Ich wollte ’ne Brezel essen. Auch auf das schnelle Internet habe ich mich gefreut, das ist schon ein anderes Arbeiten.
Was bedeutet eigentlich Heimat für Sie?
Das ist da, wo ich mich wohlfühle. Indien ist so was wie Heimat geworden, ich war zum zweiten Mal dort. Als ich dieses Jahr zurückkam, dachte ich: Wow, da bin ich zu Hause – so eine Ruhe! In Deutschland habe ich immer schneller das Gefühl, dass ich wieder weg muss. Spätestens nach zwei Wochen spüre ich ein inneres Kribbeln. Mir wird es schnell langweilig. Um dem entgegenzuwirken, muss ich reisen. Sobald ich am Meer bin, ist alles wieder in Ordnung.
Heute ist wieder so ein grauer, trüber Tag. Ist es das, weshalb Sie immer wieder weggehen?
Ja, es ist das Wetter. Das Klima und die Landschaft. Wenn wir hier am Meer leben würden – Palmen, Sandstrand und über 30 Grad – würde ich sicher seltener weggehen.
An welchen Plätzen arbeiten Sie am liebsten?
Mit Blick aufs Meer, der Lärmpegel ist mir meist egal – es sei denn, ich muss telefonieren. Internetcafés und Coworking-Spaces sind zum Austauschen und Netzwerken mit anderen sehr animierend.
Was brauchen Sie zum Arbeiten?
Smartphone mit örtlicher Sim-Karte, Laptop und eventuell einen mobilen WLAN-Router. Ohne Mobilfunknetz geht aber nichts. Da kommen einige Länder leider nicht infrage, in die ich gerne reisen würde. Eine meiner ersten Routinen ist der Gang in einen Mobilfunkladen. In Goa ist allerdings der Servicemitarbeiter vor meinen Augen eingeschlafen. Das ist Indien!
Woran arbeiten Sie in der Regel?
Im Moment viel Webdesign und Onlinemarketing. Ich komme allerdings aus dem Printbereich: Designs von Broschüren, Flyern, Logos und Verpackungen.
Was reizt Sie am Leben als digitale Nomadin?
Das Reisen, das Frei-Sein, die Chance, überall arbeiten zu können. Die Kombination ist perfekt: Ich liebe meinen Job – und das Reisen.
Welche Eigenschaften sollte man haben?
Abenteuerlust und Neugier. Man darf nicht zu ängstlich sein. Und ich bin ungebunden. Mit Familie wäre das sicherlich was anderes.
Wie gehen Sie organisatorisch vor, wenn Sie jetzt in die Karibik fliegen?
Ich buche nur den Flug, eine Bleibe für die ersten Tage und erkundige mich vor Ort nach reizvollen Zielen. Ich würde gerne mit dem Segelschiff Inselhopping machen.
Das klingt mehr nach Urlaub als nach Arbeit. Wie verträgt sich das mit Abgabeterminen?
Ich mache es von den Jobs abhängig. Wenn mehrere Aufträge reinkommen, miete ich mir natürlich eine Unterkunft und bleibe an einem Ort. Das lasse ich auf mich zukommen. Generell nehme ich mir die Zeit, was anzuschauen oder baden zu gehen. Deshalb plane ich meistens nur ein, zwei Tage im Voraus. Aber manche Reiseformen kommen nicht infrage. Den Jakobsweg zu gehen und ständig aufs Handy zu schauen – das wäre absurd.
Machen Sie manchmal erst abends den Rechner an, wenn Sie von Ausflügen zurückkommen?
Teilweise ja. In Indien hat man aber ein Problem mit Moskitos. Ich habe mal nachts gearbeitet, war danach völlig verstochen. Ich steh lieber früher auf, wenn die Sonne aufgeht.
Wie reagiert Ihr Umfeld auf die Lebensweise?
Die meisten sagen: Toll, du machst das völlig richtig. Es gibt einige, die das auch gerne tun würden, aber nicht können. Manchmal aus vorgeschobenen Gründen. Bis vor vier Jahren war ich ein richtiger Workaholic, arbeitete bis 2013 freiberuflich in einer Werbeagentur und war da zuletzt sehr eingebunden. Irgendwann habe ich mir gesagt: Wozu? Wieso tue ich mir das an? Je mehr Geld man verdient, desto mehr gibt man aus. Mein Freund starb 2009 und auch danach sind noch einige nahestehende Leute gestorben. Da dachte ich: Das Leben ist zu kurz, um nur zu arbeiten.
Was war so schlimm am klassischen Bürojob?
Die starren Arbeitszeiten, acht Stunden auf dem Stuhl zu sitzen und nicht mal kurz zum Arzt, Friseur oder ins Café zu können. Ich habe früher andere immer bewundert, wenn sie von zu Hause arbeiteten.
Ist die Zukunft der Arbeit ortsunabhängig?
Ja, und vor allem auch in der zeitlichen Flexibilität. Die ist enorm wichtig. Wenn jemand lieber abends arbeitet – warum nicht. Bei vielen Freien spürt man die Freude am Arbeiten.
Wie haben Sie sich anfangs vorbereitet?
Man muss es einfach mal machen und testen, dass man sich die Angst nimmt. Ich bin zunächst nach Spanien und Frankreich, weil ich surfen wollte – und habe nebenher gearbeitet. Das lief ganz gut. Ich war oft auf Barcamps und habe mir die Berichte anderer digitaler Nomaden angehört. Die Vernetzung untereinander ist wichtig, nicht nur wegen der Erfahrungen. Manchmal hat man untereinander Jobs zu vergeben. Ich habe ein paar freie Mitarbeiter, die für mich in Spitzenzeiten arbeiten. Und Rückschläge gab es nur technische.
Wie haben Ihre Kunden reagiert?
Ich habe es ihnen zunächst vorsichtig gesagt, da kam auch keine negative Reaktion. Wenn die Jobs pünktlich erledigt werden und die Qualität stimmt, passt es. Aber man züchtet natürlich auch Neider.